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Auf den Spuren von Vermeer in Delft

Das Haus in der Delfter Vlamingstraat 40-42 ist ein unscheinbares Grachtenhaus. An dem Gebäude selbst liegt es jedenfalls nicht, dass neuerdings Besuchergruppen davor stehen bleiben, um es zu fotografieren. Manch asiatischer Tourist begehrte angeblich sogar Einlass bei der dort lebenden Familie. Die Eltern mit ihren zwei Kindern scheinen den Rummel mit Gleichmut zu ertragen. Sie lümmeln sich in holländischer Lässigkeit auf dem Sofa, während draußen die Gaffer fast in die Gracht fallen bei dem Versuch, das Haus ohne ein davor parkendes Auto abzulichten.

Hübsch, aber nicht spektakulär. Was hat es mit diesem Haus in Delft auf sich?

Hübsch, aber nicht spektakulär. Was hat es mit diesem Haus in Delft auf sich?

Aufruhr in Delft

Verursacht hat den Aufruhr ein Herr namens Frans Grijzenhout. Der Professor für Kunstgeschichte an der Universität von Amsterdam hat nämlich im November 2015 eine kleine kunsthistorische Sensation verkündet und damit einen wissenschaftlichen Wettstreit für sich entschieden, der schon seit 1921 läuft. Grijzenhout veröffentlichte das Ergebnis seiner Forschungen: den wahren Ort, an dem Johannes Vermeer (1632-1675) wahrscheinlich im Jahre 1660 sein Meisterwerk „Die kleine Straße“ malte. Man ahnt es: ja, es soll die Vlamingstraat 40-42 sein. Dort, wo sich heute die Familie auf der Couch fläzt.

Professor Frans Grijzenhout fand den wahren Standort des Gemäldes in Delft heruas

Professor Frans Grijzenhout fand den wahren Standort des Gemäldes in Delft heraus

Detektivarbeit made in Holland

Wie kam der Forscher darauf, dass es ausgerechnet dort gewesen sein soll – und nicht etwa in der Vlamingstraat 22 oder im Oude Langedijk 25, wie vor ihm Kollegen behaupteten herausgefunden zu haben? Grijzenhout bediente sich eines alten Katasterbuches von 1667, in dem die zu entrichtenden Abgaben für die Häuser in Delft je nach ihrer Breite und Höhe sowie Anzahl der Durchgänge und Abstand zum Kanal aufgelistet stehen. „Als ich dies alles mit den Abmessungen auf dem Gemälde verglichen habe, gab es nur noch eine Möglichkeit: es musste die Vlamingstraat 40-42 sein“, erklärte der Kunsthistoriker bei der Eröffnung der Ausstellung „Vermeer kommt nach Hause“ im Museum Prinsenhof in Delft. Gewissheit erlangte Grijzenhout, als er auch noch herausfand, dass das Gebäude rechts neben dem im Gemälde verewigten Haus Vermeers Tante Ariaentgen Claes van der Minne gehörte.

Medienandrang bei der Eröffnung der Vemeer-Ausstellung im Museum Prinsenhof in Delft

Medienandrang bei der Eröffnung der Vemeer-Ausstellung im Museum Prinsenhof in Delft

Vermeer und seine Zeitgenossen in Delft

Die Ausstellung, die noch bis 17. Juli 2016 läuft, beleuchtet den Forscherstreit auf unterhaltsame Weise. Eindrucksvolle Stadtansichten Delfts von Vermeers Zeitgenossen sind ebenfalls zu sehen. So etwa drei Werke von Pieter de Hooch (ca. 1629-1684), von dem man vermutet, dass er eine wichtige Inspirationsquelle für Vermeer war. Zudem gibt es eine witzige „Escape Box“: eine Art Vermeer-Zimmer, aus dem man angeblich nur wieder rauskommt, wenn man Fragen zu dem großen niederländischen Meister des Barock beantwortet hat. Aber keine Sorge: bisher sei noch jeder wieder rausgekommen, versichern die Museumsbetreiber.

Auch außerhalb des Museums Prinsenhof dreht sich in Delft alles um Vermeer.

Auch außerhalb des Museums Prinsenhof dreht sich in Delft alles um Vermeer.

Gemälde „Die kleine Straße“ zurück in Delft

Glanzstück der Ausstellung aber ist natürlich das Gemälde „Die kleine Straße“: 320 Jahre, nachdem das Meisterwerk Vermeers Heimatstadt verließ, kehrt es nun bis zum 17. Juli wieder nach Delft zurück. Normalerweise hängt das Bild im Rijksmuseum in Amsterdam. „Man kann hier Vermeers Genialität besonders gut erkennen “, schwärmt Patrick van Mil, Direktor des Museums Prinsenhof Delft. Es wirke dank der präzisen Technik geradezu realistisch – selbst die Fassaden-Risse seien zu sehen, die von der gewaltigen Explosion eines Pulverlagers im Oktober 1654 herrührten und die Hunderte Opfer forderte, darunter den Maler Carel Fabritius („Der Distelfink“). Die Ausstellungsmacher beschränken sich nicht auf das Museum. Mithilfe einer englischsprachigen, kostenlosen App können Besucher in Delft auf Vermeers Spuren wandeln: Vermeers Tante geleitet sie zu den Orten, wo der große Meister wirkte.

Man kann mit einer App auf den Spuren Vermeers wandeln oder den Stelltafeln folgen

Man kann mit einer App auf den Spuren Vermeers wandeln oder den Stelltafeln folgen

Tour auf den Spuren Vermeers

Bei dem Spaziergang durch die altholländische Stadt mit ihren Grachten, Herrenhäusern, der majestätischen Kirche Nieuwe Kerk und der Oude Kerk, in der Vermeer begraben liegt, landet man schließlich auch an dem Haus an der Vlamingstraat 40-42. Dort erinnert nur noch der schmale Durchgang zwischen den Bauwerken an das Gemälde von 1660; das Gebäude selbst ist sehr viel neueren Datums. Ob Vermeer sich wohl hat ausmalen können, dass eines Tages vor dem Haus seiner Tante motorisierte Vehikel stehen und asiatische Touristen sich mit langen Stangen selbst ablichten würden?

Selbst eine herzhafte Tarte gibt es Delft zu Ehren Vermeers

Selbst eine herzhafte Tarte gibt es Delft zu Ehren Vermeers

Frida van Dongen war auf Einladung des Museums Prinsenhof Delft und des Niederländischen Büros für Tourismus & Convention (NBTC) in Delft. Ihre Begeisterung für Vermeer und seine Heimatstadt kam von alleine. „Vermeer is coming home“, bis 17. Juli, Museum Prinsenhof Delft, Sint Agathaplein 1, Delft, geöffnet montags bis sonntags, 11 bis 17 Uhr (am Königstag am 27. April geschlossen) Weitere Informationen: http://prinsenhof-delft.nl/en; www.vermeeriscominghome.com

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