Radfahren wie eine Holl\u00e4nderin – ein Abenteuer, das Frida van Dongen nicht immer m\u00fchelos meisterte.<\/p>\n
Der Tipp des niederl\u00e4ndischen Kollegen klingt dubios: einfach in der D\u00e4mmerung an eine Amsterdamer Gracht<\/strong> gehen, einer finsteren Gestalt um den H\u00e4userblock folgen und dann in einer Giebelhausgasse das Gesch\u00e4ft abschlie\u00dfen: ein \u201eoma-fiets\u201c<\/strong> f\u00fcr 20 Euro – ein Schn\u00e4ppchen! Die Frage, ob das nicht illegal sei, straft der Kollege mit Augenrollen. Weil die unbedarfte Deutsche der Verdacht beschleicht, dass so ein \u201eoma-fiets\u201c vielleicht traditionell von alten Damen gestohlen wird, kauft sie lieber ein klappriges 5-Gang-Fahrrad<\/strong> in einem Fahrradladen ihres Vertrauens – f\u00fcr 120 Euro. Nicht inbegriffen im Preis: eine 30-gliedrige Stahlsicherungskette, die auch als Wegfahrsperre f\u00fcr Stra\u00dfenkreuzer geeignet w\u00e4re.<\/p>\n <\/a><\/p>\n Die Jungfernfahrt zur Arbeit f\u00e4llt am n\u00e4chsten Morgen ins Wasser. Es sch\u00fcttet aus K\u00fcbeln. Dennoch ist der Fahrradparkplatz vor dem Verlagsgeb\u00e4ude der Redaktion \u201eTrouw\u201c in Amsterdam zugestellt. Der niederl\u00e4ndische Kollege sch\u00e4lt sich aus seiner Ganzk\u00f6rperregenhaut und ruft: \u201eAhh, heute endlich mal keine Touristen<\/strong> auf den Radwegen.\u201c Die Deutsche schweigt betreten.<\/p>\n <\/a><\/p>\n Mit der Anschaffung eines Fahrrads hat die Nachbarin aus dem Osten immerhin schon einen wichtigen Schritt zur Integration getan. Denn in Holland dreht sich sprichw\u00f6rtlich alles ums Rad: rund 57 Prozent der Amsterdamer nutzen ihr Velo t\u00e4glich, im Stra\u00dfenverkehr haben Radfahrer einem ungeschriebenen Gesetz zufolge immer Vorfahrt und der nationale Fahrradbund ist so m\u00e4chtig, dass er beim Umbau des Rijksmuseums erfolgreich einen Fahrradtunnel forderte, was die Er\u00f6ffnung des Kunsttempels betr\u00e4chtlich verz\u00f6gerte.<\/p>\n <\/a><\/p>\n Die Deutsche wagt sich nach Abklingen des Dauerregens eine Woche sp\u00e4ter in den Fahrradkrieg auf die Stra\u00dfen Amsterdams. In Ermangelung einer Klingel hilft nur Schreien: \u201eLet op!!!\u201c, wenn Touristen mit ihren Rollkoffern \u00fcber den Radweg schleichen oder verliebte P\u00e4rchen die Grachten entlang schwanken. Zum guten Ton geh\u00f6rt auch entnervtes Schnauben, wenn die Amsterdamer Stadtreinigung die Stra\u00dfen s\u00e4ubert oder die Stra\u00dfendecke sich hebt, um ein Schiff durchfahren zu lassen.<\/p>\n <\/a><\/p>\n Nach einer Woche glaubt die Deutsche, dass sie dazugeh\u00f6rt. Sie ist hartgesotten im Regen vom Westen in den Osten der Stadt geradelt. Sie hat jede Menge rote Ampeln ignoriert, Autofahrern kalt l\u00e4chelnd die Vorfahrt genommen, Kollegen auf dem Gep\u00e4cktr\u00e4ger durch die Stadt chauffiert. Sie hat die Angewohnheit niederl\u00e4ndischer meisjes getestet, eine Radtour vom Start bis Ziel mit Handy am Ohr zu absolvieren. Und sie hat ihr Fahrrad immer auf einem legalen Fahrradparkplatz an einer unverr\u00fcckbaren Befestigung angeschlossen. Immer. Bis auf einmal.<\/p>\n <\/a><\/p>\n Da musste sie zur Centraal Station, hatte es furchtbar eilig, und ignorierte deshalb den weiter entfernten Fahrradparkplatz, \u00fcber den alle Stadtf\u00fchrer jubeln, er sei der gr\u00f6\u00dfte, sch\u00f6nste und modernste in Europa. Stattdessen machte sie das fiets direkt am Haupteingang des Bahnhofs an einem Halteverbotsschild fest. Als sie eine Viertelstunde sp\u00e4ter wieder aus dem Geb\u00e4ude tritt, steht an dem Verkehrsschild ein finster dreinblickender, uniformierter Mann mit einer ratternden Motors\u00e4ge in der Hand. Eine Bewegung, und die Stahlsicherungskette des Fahrrads ist durch.<\/p>\n <\/a><\/p>\n Die Deutsche erstarrt zuerst in Fassungslosigkeit, dann fleht sie unter Tr\u00e4nen: Geben-Sie-mir-mein-Rad-zur\u00fcck-ich-brauch-das-doch-bin-Ausl\u00e4nderin-und-wusste-ja-nicht. Der Mann zieht wortlos mit Rad und S\u00e4ge ab, setzt das Rad zu den anderen 50 fietsen auf den Wagen und dr\u00fcckt der Parks\u00fcnderin ein rotes Infoblatt in die Hand. Es informiert dar\u00fcber, dass von den gesch\u00e4tzten 881.000 Fahrr\u00e4dern in Amsterdam rund 24.000 im Jahr beim \u201eFietsdepot\u201c landen – Diebesgut oder eben illegal geparkt. Abzuholen sei das Rad in Westlichen Hafengebiet von Amsterdam, etwa eine Dreiviertelstunde mit \u00d6ffentlichen Verkehrsmitteln vom Zentrum entfernt. Mitzubringen seien zehn Euro \u201eBearbeitungsgeb\u00fchr\u201c, ein Ausweis und der Schl\u00fcssel f\u00fcr die durchtrennte Kette – um zu beweisen, dass man auch der Eigent\u00fcmer ist.<\/p>\n Nat\u00fcrlich ist die ratlose Deutsche an diesem Morgen die Witzfigur bei den niederl\u00e4ndischen Kollegen. \u201eIn Amsterdam ist alles erlaubt: Prostitution, Drogenkonsum, Gl\u00fccksspiel. Aber sein fiets an Centraal Station abstellen, das geht \u00fcberhaupt nicht\u201c, spottet einer, und erg\u00e4nzt, dass die Fahrt zur Abholstation ein Initiationsritual sei, dass jeder Neu-Amsterdamer absolvieren m\u00fcsse.<\/p>\n <\/a><\/p>\n Die Reise dorthin ist unspektakul\u00e4r, und man findet im Industriegebiet immer jemanden, der den Weg\u00a0 kennt – oder selbst dorthin will. In einem Verschlag ist jedes fiets in einer Datenbank registriert. Innerhalb von f\u00fcnf Minuten hat der freundliche Fahrrad-Verwalter das gesuchte Objekt ausgemacht, nachdem er allerlei Kennzeichen abgefragt hatte: Fundort, Farbe und besondere Merkmale.<\/p>\n <\/a><\/p>\n Als die Deutsche den Schl\u00fcsseltest bestanden hat und wieder in Besitz ihres Fahrrads ist, traut sie sich zu fragen: Was ist eigentlich ein oma-fiets? Der Mann lacht. \u201eEin \u00bboma-fiets\u00ab ist das, was ihr Deutschen \u00bbHolland-Rad\u00ab nennt. Auf dem schon unsere Gro\u00dfm\u00fctter durch Amsterdam radelten. Es ist die Oma aller Fahrr\u00e4der, die einen sicher an das andere Ende der Stadt bringt, die extra Pflege braucht, weil sie etwas betagt ist, die aber abg\u00f6ttisch geliebt wird.\u201c<\/p>\n Frida van Dongen<\/p>\n Die Geschichte wurde zuerst im K\u00f6lner Stadt-Anzeiger ver\u00f6ffentlicht<\/p>\n Fotos: Frida van Dongen (4), NBTC (4)<\/p>\n Infos \u00fcber Mietfahrr\u00e4der in Amsterdam <\/a><\/p>\n