Der Wind peitscht. Das Wasser in den Grachten ist aufgewühlt. Schirme knicken um. Ich weiß nicht, ob es grad regnet oder ob es soeben aufgehört hat. Aber es kümmert mich auch nicht. Die Luft ist kalt, klar und salzig. Alles ist so wie früher. Als ich hin und wieder einen Tag in Amsterdam verbracht habe.
Ich gehe weiter und weiter. Rechte Winkel, Effizienzdenken, permanente Erreichbarkeit und hochauflösende Bildschirme sind bald vergessen. Dafür verlangt es mich nach Hutspot. Serviert auf Delfts Blauw.
Ich sehe rostige Hausboote und schiefe Häuser mit prahlerischen Treppen-, Glocken- und Halsgiebeln, die von Baumskeletten eingerahmt werden.
Alles ist krumm, schief und alt. Die Stadt schwert sich nicht darum, dass wir das Jahr 2012 schreiben.
Genauso, wie sich die Amsterdamer nicht an den Elementen stören. Sie laufen, schippern und fahren durch Regen und Wind. Sie tragen keine Helme, kutschieren ihre Kinder in Fietsbakken vor sich her. Und sie singen dabei.
Es gibt ja Parapluies und Pelerinen. Hüte und Handschuhe.
Die Amsterdamer sprechen miteinander. Ob sie sich kennen oder nicht. In den Cafés im Jordaan läuft keine Musik. Hier trinken sie billigen Genever und Heineken, dessen Schaum auf Füllhöhe glatt gestrichen wird.
Nach einer Weile denke ich an die Romane: Willem Frederick Hermans. Leon de Winter. A. F. Th. van der Heijden. Poetisch und aufsässig. Aber doch in sich selbst ruhend – weil sie in Amsterdam spielen.
Erst jetzt fällt mir auf, dass ich schon seit einigen Stunden nur noch in Schwarzweiß denke.
Selbst die bunten Klischees werden monochrom. Der Blumenmarkt zum Beispiel. Oder die holländische Flagge, die auf frischen Hering aufmerksam macht.
Monochrom ist auch die Weihnachtsdeko in dieser weihnachtsmarktfreien Zone. Und sogar der Königspalast.
Als es wieder in Strömen regnet, blicke ich auf den Boden. Plötzlich sehe ich in einer Pfütze mein Lieblingsgebäude: Die Westerkerk.
Unvermittelt blicke ich hinauf. Ich denke: “Heute sieht die Silhouette des Turms anders aus.”
Bevor ich der schönsten Stadt der Welt dabei zusehe, wie sie langsam dunkel wird, suche ich noch ein paar Lieblingsorte auf. Vorbei am Hotel de l’Europe gehe ich zur Staalstraat.
Ich werfe einen Blick auf die Hebebrücke, die in Richtung Stopera führt. Sie wird von einem gußeisernen Rahmen getragen und mit einem prähistorischen Kettenmechanismus betätigt.
Als stiller Protest gegen den im Rest der Welt immer weiter verbreiteten Regulierungswahn hängt am Geländer ein funktionsunfähiges Fahrrad.
Bevor der Abend endgültig hereinbricht, ist noch Zeit für das unvermeidliche Selbstporträt in der Dämmerung.
Was bleibt an diesem Tag ist ein Blick auf die Brouwersgracht, wo ein Hausbootbesitzer Mast und Taue zu einer Weihnachstbaumsilhouette geformt hat – so viel Kitsch darf sein.
Und schließlich die Fütterung der Schwäne auf dem Nieuwezijds Achterbugwal – ein festes Ritual im Rotlichtviertel.
Der Wind bläst weiter. Und immer wieder werde ich nass. Aber von der Rationalität des Alltags bin ich kuriert. Bis auf weiteres. Und sollte sich das ändern, fahre ich wieder nach Amsterdam. Wo so vieles noch so ist und so aussieht, wie es früher einmal war. Nicht nur in Schwarzweiß.
Fotografiert mit dem iPhone 4s und dem Hipstamatic-Film Monochrome