Limburg, Maastricht
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Maastricht: Minimetropole für Bonvivants

Am späten Samstagnachmittag teilt sich die heimische Bevölkerung in zwei Gruppen auf. Die einen fallen ermattet in die Korbstühle am Vrijthof oder auf dem Onze Lieve Vrouwenplein, um sich von den Einkaufsstrapazen zu erholen. Die anderen tragen einen flachen Faltkarton, der an einer Kordel baumelt. Mit Verschwörermine schaffen sie ihre Beute heim.

In den schlichten Behältnissen befindet sich ein Vlaai, ein Kuchen, der typisch ist für die niederländische Provinz Zuid-Limburg. Mal wird er mit Aprikosen oder Kirschen gefüllt. Dann wieder kursiert er in Varianten mit Sahnehaube und Schokosplittern. Am unwiderstehlichsten aber ist er, wenn er mit der traditionellen lockeren Reispuddingcreme daher kommt. Ein Vlaai also ist in Maastricht eine veritable Trophäe – und so werden die populären Backwaren auch in den Schaufenstern präsentiert. Eine gute Adresse für eine repräsentative Kostprobe ist die Bischopsmolen, eine Wassermühle aus dem elften Jahrhundert.

In einem Gässchen am Rande der Innenstadt gelegen, befindet sich hier seit drei Jahren eine Art Erlebnisbäckerei: Hier wundern sich Kinder über rustikale Anlagen und archaische Fertigungsprozesse. Hier bestaunen Erwachsene die wechselvolle Geschichte des Bauwerks. Später kehren Familien gemeinsam ins hauseigene Café ein, um ein Stück Vlaai ihrer Wahl zu verspeisen. Wer richtig Feuer gefangen hat, kann hier übrigens auch an einem Schnellkurs teilnehmen und wird in gängige Rezepturen und die Grundzüge der Rohstofflehre eingeweiht.

Zum Vlaai wird nicht nur Kaffee serviert, sondern auch niederländischer Wein. Kein Witz: Auf den Steilhängen vor den Toren der Stadt gedeihen mittlerweile beachtliche Mengen an Rebstöcken. Dank nahrhafter Kalk- und Lössböden und eines günstigen Mikroklimas erreichen zum Beispiel die Güter “Apostelhoeve” und “Hoeve Nekum” erstaunliche Resultate. Das ist nicht unbedingt eine Folge des Klimawandels, denn es wird berichtet, dass Maastricht schon zu Zeiten der Römer eine Reputation als Weinanbaugebiet besessen hat. Diese gewinnt es nun sukzessive zurück – auch wenn Riesling und Pinot Grigio mit Preisen ab zehn Euro im Liebhabersegment angesiedelt sind.

Skeptiker, die hinter dem limburgischen Weinbau den linkischen Versuch der Niederländer wittern, nach der Tomatenproduktion nun ein weiteres landwirtschaftliches Spitzenprodukt zu verwässern, können beruhigt sein: Genug Weinberge, um die Weltmarktvorherrschaft anzustreben, werden im südwestlichen Landzipfel rund um Maastricht nie vorhanden sein.

Oben vom Sint Pietersberg genießt man zudem den schönsten Blick auf die Stadt an der Maas, die gemeinsam mit Nimwegen um den Titel der ältesten Stadt des Landes streitet. Der Hügel, der gut 100 Höhenmeter in den Himmel ragt, ist von der Stadt aus bequem zu Fuß erreichbar. Der Weg lohnt, denn auch unterhalb den Rebstöcke entfaltet sich hier Erstaunliches: Ein einzigartiges Grottenlabyrinth mit mehr als 20 000 Gängen, die im Laufe der Jahrhunderte durch den Abbau von Mergel entstanden sind.

Dass die Auferstehung der niederländischen Weinkultur von Maastricht ausgeht, ist übrigens kein Zufall: Die Stadt besitzt in den Niederlanden den Ruf einer Gourmethochburg. Die Restaurants “Beluga loves you” (zwei Michelin-Sterne) und “Tout à Fait” (ein Stern) etwa rangieren unter den zehn besten des Landes – von trendiger Fusion-Küche bis hin zu burgundischen und provenzalischen Spezialitäten scheint die Auswahl für eine Stadt mit nur knapp 120 000 Einwohnern geradezu verschwenderisch.

Gerne kokettiert das 2050 Jahre alte Maastricht denn auch mit seiner – freilich sehr relativen – Nähe zu Frankreich. Aber das nicht zu Unrecht, denn neben dem Savoir-vivre ist den “Mestreechteneren” (die einen auch für Niederländer kaum verständlichen Dialekt sprechen) eine gewisse Unaufgeregtheit nicht abzusprechen. Ein Spaziergang in der Dämmerung auf den Relikten der mittelalterlichen Stadtmauer ist, ähem, pure Romantik.

In den Einkaufsstraßen ist der Trubel vor allem an Samstagen beträchtlich. Auf dem Marktplatz preisen die Händler Matjes und Makrelen an. Unterdessen begeben sich die modebewussten Südlimburger in den meist kleinen Geschäften rund um die Grote Straat auf die Suche nach eleganter Kleidung. Seit wenigen Monaten auch in zwei nagelneuen Einkaufszentren, die subtil ins Stadtbild eingefügt wurden. Eines davon heißt Mosae Forum und beherbergt an Sonntagen den größten Feinschmeckermarkt der Benelux-Staaten. Die wohl außergewöhnlichste Attraktion der mehrmals hintereinander zur beliebtesten Shopping-Destination der Niederlande gewählten Stadt aber ist die Buchhandlung Selexys, seit 2006 in einer mitten im Zentrum gelegenen Dominikanerkirche etabliert.

Maastricht, dessen Ruf immer noch von dem 1992 hier ratifizierten Vertrag zur Europäischen Union profitiert, könnte mit all dem zufrieden sein. Doch die Stadt ruht sich nicht selbstgefällig aus: Nur wenige Schritte vom Zentrum entfernt führt eine elegante neue Fußgängerbrücke über die Maas in das Viertel “Ceramique”. Wie der Name schon andeutet, waren hier einst Produktionsstätten der Keramikindustrie beheimatet. Mittlerweile jedoch ist das Areal so etwas wie das Yuppie-Viertel der Stadt. Optischer Dreh-und Angelpunkt der Stadt ist hingegen das Bonnefanten-Museum, das 1995 vom italienischen Star-Architekten Aldo Rossi fertiggestellt wurde. Es beherbergt sowohl niederländische Meister als auch zeitgenössische Kunst und ist eine weithin sichtbare Landmarke.

Optionen satt also, um jener Zeitlinie entgegenzusteuern, an der sich die heimische Bevölkerung in zwei Gruppen aufspaltet. Für Besucher aber gilt selbstverständlich: Erst einen Vlaai in Sicherheit bringen. Und dann in einen Korbstuhl fallen.

Informationen:

Auskünfte zu einem Maastricht-Besuch gibt das Fremdenverkehrsamt VVV auf seinen umfangreichen deutschsprachigen Internetseiten und am Ort in Het Dinghuis, Kleine Staat 1. Es liegen Broschüren auf Deutsch aus.

Besonders gemütlich ist es in Maastricht an Samstagen. Die Geschäfte sind dienstags, mittwochs und freitags von 9 bis 18 Uhr geöffnet, donnerstags von 9 bis 21 Uhr, samstags von 9 bis 17 Uhr (manche bis 18 Uhr) und montags von 13 bis 18 Uhr. An jedem ersten Sonntag haben die Läden zudem von 12 bis 17 Uhr auf. Freitags findet von 8 bis 13 Uhr ein großer Warenmarkt auf dem Marktplatz statt, täglich ein kleinerer Lebensmittelmarkt an selber Stelle.

Parken kann man zum Beispiel an der Maas unter der John-F.-Kennedy-Brücke, über die man bei der Anreise kommt. Ganztagestickets kosten fünf Euro, der Fußweg in die City beträgt zehn Minuten.

Das Bonnefantenmuseum ist täglich außer montags. von 11 bis 17 Uhr geöffnet (Avenue Céramique 250, Eintritt: 7,50 Euro), für das Niederländische Architekturinstitut (Avenue Céramique 226) gelten dieselben Öffnungszeiten, der Eintritt kostet fünf Euro.

Durch die Grotten am Sint Pietersberg werden in den Sommermonaten täglich Führungen angeboten (stündlich von 11 bis 16 Uhr). Treffpunkt ist das nahe gelegene Chalet Bergrust (Luikerweg 71). Die Teilnahme kostet 4,25 Euro für Erwachsene und 3,25 Euro für Kinder. Der Besuch kann auch mit einer Schiffstour auf der Maas kombiniert werden (10,45/7,15 Euro). In den Grotten herrscht dauerhaft eine Temperatur von neun bis zehn Grad, daher sollte an passende Kleidung gedacht werden.

Weingut Apostelhoeve Besuch auf Anfrage per E-Mail oder Telefon bei der Familie Hulst (Susserweg 201, 6213 NE Maastricht, [TEL] 0031/ 43/343 22 64). Weingut Hoeve Nekum (Nekummerweg 31, 6212 NK Maastricht, [TEL] 0031/43/ 321 51785).

GASTRONOMIE:

Frühstück: Bei Simply Bread gibt es Bio-Sandwiches, Low-Fat-Ciabatta und Smoothies (Stationsstraat 36, 0031/43/325 99 29)

Abends: Restaurant Beluga Loves You, Michelin-Stern-gekröntes Restaurant (Plein 1992 12, 6221 JP, Maastricht) Reservierung nötig).

Restaurant Witloof, relaxed-stylisches belgisches Restaurant, Sint Bernardusstraat/Helstraat 12, NL-6211HL Maastricht (die Niederlande), Tel: +31 (0)43 3233538

www.vvv-maastricht.eu

www.bisschopsmolen.nl

www.bonnefanten.nl

www.naimaastricht.nl

www.apostelhoeve.nl

www.hoevenekum.nl

Die Geschichte ist in ähnlicher Form zuerst im Kölner Stadt-Anzeiger erschienen:

www.ksta.de

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