Markthallen scheinen bislang ein Phänomen südeuropäischer Länder zu sein: In Barcelona etwa tummeln sich Touristen und Einheimische seit über 150 Jahren in der berühmten Boqueria , um zu shoppen und zu schlemmen. Seit 1. Oktober darf sich auch Rotterdam einer Markthalle rühmen. Königin Máxima eröffnete die erste überdachte Markthalle der Niederlande und zugleich neue Bauikone der Architekturstadt. Ralf Johnen durfte sich schon vorher umsehen – allerdings ohne zu naschen.
Event-Architektur war gestern. Zu zahlreich sind mittlerweile die Baumeister, die Frank O. Gehry nacheifern. Zu austauschbar sind die Gebäude, die dem Guggenheim-Museum in Bilbao ähneln wollen. Und zu oft ist die Idee kopiert worden, mit einer einzigen Bau-Ikone dem daniederliegenden Tourismus neues Leben einhauchen zu wollen.
Das zumindest dachte ich – bis ich erstmals die Pläne für die neue Markthalle von Rotterdam gesehen habe. Nun wurde der von zwei riesigen Rundbögen geprägte Bau von Königin Maxima eröffnet. Und die Idee der Bauikone scheint mit einem Male wieder brillant, denn die vom örtlichen Architekturbüro MVRDV entworfene Markthalle wird Jahr für Jahr große Mengen von Besuchern nach Rotterdam locken, da bin ich mir absolut sicher.
Die Idee dahinter ist so einfach, wie sie dem Zeitgeist entspricht. Kaum etwas nämlich liegt mehr im Trend unserer zunehmend hedonistischen Gesellschaft, als hochwertige Nahrungsmittel. Und eben jene werden seit dem 1. Oktober in spektakulärer Kulisse inszeniert, zur Schau gestellt, verkauft und, ja, auch konsumiert.
Das Konzept als solches wäre noch kein Garant für Erfolg, schließlich gehören Markthallen zum festen Inventar vor allem südländischer Städte. Die von MVRDV lancierte Idee aber ist neu: Die Architekten haben in die beiden gewölbten Außenwände 228 Wohnungen eingebaut – mit direktem Blick auf das Marktgeschehen und mit zum Teil großartigen Aussichten auf die aufregende Stadt. Oben werden die 40 Meter hohen Bögen durch eine 120 Meter lange Verbindung abgeschlossen.
Hinzu kommt, dass sich die Markthalle von Rotterdam im Stadtviertel Blaak befindet, das sich in den vergangenen Dekaden ohnehin zu einer Spielwiese für Architekten entwickelt hat. Nicht zuletzt ihrer anhaltenden Kreativität verdankt die Stadt ihren Ruf, zu den interessantesten „Second Cities“ Europas zu gehören. Kaum eine Stadt mit rund einer Million Einwohner ist derart pulsierend und innovativ.
Doch es sind wie gesagt nicht allein Stadtplanung und Architektur, welche die Markthalle zu einer Attraktion machen: Die rund 100 Stände versprechen permanente lukullische Freuden. Ein Garant hierfür zum Beispiel ist die beste Fischhandlung Hollands, Schmidt Zeevis, die sich mit drei Partnern zu den „Fresh Food Friends“ zusammengetan hat. Hinter dem „Mart Café“ stecken dieselben Personen, die das Grand Café „Dudok“ zur besten Adresse für Apfelkuchen gemacht haben. Und „Van Vliet Siroopwafels“ kultivieren die holländische Kultur der Stroopwafel.
Im Keller befindet sich zudem eine XL-Filiale der Supermarktkette „Albert Heijn“. Diese soll dafür bürgen, dass auch die Rotterdamer selbst den Weg in die City suchen, um den Alltagseinkauf mit dem Besuch der Spezialitätengeschäfte zu verknüpfen. Auch das scheint ein überzeugender Gedanke – beide Seiten brauchen keine Berührungsangst voreinander zu haben.
Ebenfalls im Kellerbereich haben die Amsterdam Architekten Kossman.DeJong eine „Zeiten-Treppe“ eingerichtet, bei der jene archäologischen Funde ausgestellt werden, die während des Baus der Markthalle zum Vorschein kamen. So können die Besucher durch die Epochen wandeln – und die Macher zeigen, dass das oft als gnadenlos modern verschriene Rotterdam auch ein Herz für seine lange Historie hat.
Wenig begeistert waren zunächst einige Beschicker des Wochenmarktes, der traditionell jeden Dienstag und Samstag in nur einem Steinwurf Entfernung auf dem ehemaligen Bahngelände abgehalten wird. Nur wenige mochten von dem Angebot Gebrauch machen, an unterschiedlichen Standorten ihre Waren anzubieten, um fortan sieben Tagen die Woche von 10 bis 20 Uhr in der Markthalle von Rotterdam präsent zu sein.
Einige haben es dennoch gewagt. Die anderen bauen darauf, von der Event-Architektur zu profitieren. Der Bilbao-Effekt 2.0 scheint geboren. Grachtenundgiebel.de behält die Situation im Auge und wird demnächst darüber berichten, wie sich die Realität nach der Eröffnungseuphorie entwickelt.
Weitere Informationen:
Die Markthalle ist täglich von 10 bis 20 Uhr geöffnet, einige Gastronomiebetriebe haben auch länger auf. Unter der Markthalle von Rotterdam befindet sich eine rund um die Uhr geöffnet Tiefgarage.
Weitere Märkte in Rotterdam:
cityguiderotterdam.com/de/aktivitaten/shoppen/markt-rotterdam/
markthal.nl
Ralf Johnen, Oktober 2014. Der Autor war von Rotterdam Partners und dem Niederländischen Büro für Tourismus & Convention eingeladen, sich die Markthalle von Rotterdam anzusehen.